Wenn der Mann mit dem Hammer schon auf der Radstrecke kommt
von Thomas Warnke
Um es vorweg zu nehmen: Der Mann mit dem Hammer kam nicht.
Weder auf der Radstrecke noch auf der Laufstrecke, doch dazu später..
Prolog
Norbert hatte im Oktober zur AfterRace Party der Reisegruppe Roth'21 geladen und wir wollten entscheiden, wohin es zur nächsten Langdistanz geht.
Da Volker zwischenzeitlich für Hamburg gemeldet hatte und Norbert zusammen mit Ulf noch einmal in Roth starten wollte, blieben nur noch Gordon und ich übrig. Im Sommer sollte es sein, mit dem Bus zu erreichen, die Laufstrecke flach, kein Salzwasser, keine Quallen. Stockholm und Oslo waren bereits ausgebucht, Barcelona und Nizza kamen nicht in Frage (Quallen), mein Favorit Kuopio-Tahko mit gefühlt 50 Zuschauer im finnischen Dauerregen wurde schnell abgewählt, so landeten wir irgendwann beim Trailer für den IM Vichy.
Strahlender Sonnenschein, Partystimmung an der flachen Laufstrecke und zwischen Alpen, Biskaya und Mittelmeer der perfekte Startort für den späteren Urlaub. Noch ein respektvoller Blick auf die Radstrecke (2.400 hm, „Hilly“), dann wurde gemeldet und das Abenteuer begann.
Winter/Mountainbike
Seit einigen Jahren fahre ich donnerstags mit dem Rad ins Büro (43 km) und freitags über Leitzkau eine etwas längere Strecke zurück. Das fällt im Winter morgens um halb 7 nicht immer leicht, ist irgendwann aber auch nur eine Frage der Gewohnheit. Dazu die Samstagsrunde mit Achim, Gordon und Stefan (im Dezember gern mit abschließender Bratwurst und Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt), eine Laufrunde, eine Fitnesseinheit und zweimal Schwimmhalle. Attacke!
Schlammschlacht
Nach unserer Winterserie sollte der erste Test in Osterburg sein. Um nicht wieder absteigen zu müssen, war ich die schwierigen Stellen einige Tage vorher abgefahren. Da das Feld überschaubar war und meine mit Abstand schwächste Disziplin gleich zweimal zu absolvieren ist, bestand die reale Gefahr, Letzter zu werden, zumal ich laut Meldeliste ältester Teilnehmer war. (Bei vielen Schwimmwettkämpfen wird dieser zu Beginn der Veranstaltung geehrt, beim Triathlon gibt es diese „Tradition“ zum Glück noch nicht.)
Nach der ersten Laufrunde bin ich dann tatsächlich Letzter, kann auf dem MTB aber einige überholen und die Platzierung auf der zweiten Laufrunde halten.
Mit steigenden Temperaturen und längeren Tagen versuche ich seit Beginn des Frühjahrs zweimal in der Woche zu laufen, das hat sich offensichtlich schon bezahlt gemacht.
Uni-Triathlon
Beim zweiten Test kommt bei bestem Wetter endlich wieder Triathlonfeeling auf. Nach Schwimmen und Radfahren noch in den Top 50, geht es auf der Laufstrecke wieder nach hinten, aber als ich mit Micha Dohl ins Ziel laufe, bin ich zufrieden. Beste Platzierung seit 10 Jahren, 3. von 10 in der Altersklasse und vor allem: Es hat Spaß gemacht!
Vichy, Pyrenäen, Vercors
Nachdem wir früher meist in den Alpen unterwegs waren, sollte es dieses Jahr etwas ganz Besonderes werden: Warmfahren in den Pyrenäen, dann in der Sierra Nevada auf die höchste Pass-Straße Europas in fast 3.400 m Höhe.
Erster Etappenort ist allerdings Vichy. Bei 36°C im Schatten die heiße Luft schnuppern, Laufstrecke ansehen, Radstrecke abfahren. Nach 10 km die ersten 200 Höhenmeter mit 6%, dann eine Runde ständigen Auf- und Abs mit 1.100 Höhenmetern auf rauem, unruhigem Asphalt, die beim Wettkampf zweimal gefahren wird. 5 Stunden und 2 längere Verpflegungspausen später bin ich einigermaßen nachdenklich wieder zurück und versuche mit kaltem Bier zu Kräften zu kommen. „Hilly“.
Von Vichy fahren wir nach Argeles-Gazost in die Pyrenäen und in den folgenden Tagen auf den Col de Soulor, den Col d'Aubisque und schließlich auf den legendären Col du Tourmalet in 2.115 m Höhe. Ohne Worte, überwältigend.
Jetzt sollte es eigentlich in die Sierra Nevada gehen, aber wegen der Hitze und der nochmal 1.000 km Hin- und einer dann 3.000 km langen Rückreise, ändern wir den Plan und fahren nach Villard-de-Lans ins Vercors, einer Hochebene am Westrand der Alpen. Nicht ganz so hoch und nicht ganz so steil sind die Straßen dort nicht weniger anstrengend und der Gorges de la Bourne nicht weniger spektakulär.
Altmark-Triathlon
Gut in Gange geht es zum dritten Testwettkampf nach Stendal auf die olympische Distanz. Schwimmen läuft gut, bis ich an einer flachen Stelle mit den Beinen auf den Grund komme und beim Abstoßen einen Krampf bekomme. Die Radstrecke gehe ich vorsichtig an, um unbedingt durchzulaufen. Was ich auch schaffe, und obwohl Grammi mich wieder überrundet, bin ich am Ende sehr zufrieden. Zu Hause sehe ich, dass ich vor Jörg Gehne auf Platz 2 in der AK gelandet bin, was war denn bei ihm los?
Müritztriathlon Waren
Hier war ich im letzten Jahr Vor-vor-Letzter, was ich unbedingt korrigieren wollte. Das Schwimmen läuft gut und auf der Radstrecke halte ich mich auch hier zurück. Trotzdem muss ich nach der Hälfte der Laufstrecke wieder Gehpausen einlegen, verbessere meine Laufzeit gegenüber dem Vorjahr aber um 5 Minuten.
Am Ende werde ich in der Altersklasse 3. von 7 und stehe wieder mit Jörg auf dem Podest, der mich diesmal auf der Hälfte der Laufstrecke überholt hat. Herzlichen Glückwunsch!
Harz
An den Wochenenden vor und nach Waren fahren Gordon und ich als abschließendes Training noch zweimal in den Harz.
Beim ersten Mal, von Magdeburg nach Friedrichsbrunn und über Treseburg und Thale zurück, werden es 182 km, unsere Radkilometer in Vichy.
Beim zweiten Mal starten wir in Wernigerode, fahren nach Bad Harzburg, einmal über den Harz nach Bad Lauterberg und wieder zurück über Elend und Schierke nach Wernigerode. Nach 140 km mit 1.900 Höhenmetern haben wir einen knappen 24er Schnitt.
Da der Straßenbelag schlechter, die Temperatur höher und die Strecke länger sein wird, definiere ich auf der Rückfahrt mein Radziel für Vichy bei 24 km/h, das wären genau 7,5 Stunden.
Vichy
Die beiden Campingplätze waren schon im Frühjahr zum Ironman-Wochenende ausgebucht aber Daniela und Conny hatten noch eine Wohnung unmittelbar im Zentrum der Kleinstadt für uns gefunden. Nach einer Zwischenübernachtung auf dem Col de la Schlucht kommen wir Freitagnachmittag in Vichy an, wo uns Gordon und Daniela schon erwarten. Es ist Gordons 50. Geburtstag, wir gehen essen, als es ein Unwetter gibt und plötzlich Lilly neben uns steht, um zu gratulieren. Happy Birthday!
Am Samstag startet der 70.3, der Adrenalinpegel steigt langsam und wir holen die Startunterlagen. Geschwommen wird im Allier, der bei Vichy etwas angestaut ist, so dass die minimale Strömung kaum zu spüren sein wird. Das Unwetter vom Vortag hat leider jede Menge Treibholz in den Fluss gespült, wodurch das Schwimmen kurzfristig abgesagt wird. Unsere beste Disziplin, sehr zu unserem Leidwesen.
Ironman
Der Start erfolgt daher auf dem Rad, alle 10 Sekunden eine Viererreihe, kein Gedränge, alles gut organisiert. Ich freue mich auf den Tag, ich habe gut trainiert, ich kenne die Strecke und ich weiß, wie ich angehen muss.
10 km Einrollen, dann geht es in den ersten Anstieg, 200 Höhenmeter locker hochkurbeln, oben ein Verpflegungspunkt. Ich habe nur eine Trinkflasche am Rad und erlebe eine böse Überraschung: Es werden keine Trinkflaschen gereicht, sondern normale Halbliterflaschen, die man umfüllen muss. Damit habe ich nicht gerechnet und es nie geübt, so dass ich einige Minuten verliere, während ich auf der Abfahrt vorsichtig das Iso in meine Trinkflasche gieße. Ab der zweiten Verpflegungsstelle hat man sich daran gewöhnt und hygienischer ist es allemal, als ständig angelutschte, nachgefüllte Flaschen gereicht zu bekommen.
Nach 20 km kommt man auf die Runde, es geht noch 10 km leicht abwärts, dann in eine 4 km lange Steigung mit 5 % auf einen 15 km langen profilierten Abschnitt. Nach einem weiteren Verpflegungspunkt geht es in die 16 km lange Steigung zum höchsten Punkt der Strecke auf fast 1.000 m. Hier heißt es, Tempo finden und gleichmäßig treten; bei 12 km/h spielt Windschatten keine Rolle. Vor mir schiebt ein Mädel ihr Rad, ich frage ob alles ok ist, „ça va bien“, das wird hart...
Oben wieder eine Verpflegung und endlich bergab. Immer wieder kleine Wellen, nochmal ein 2 km Gegenanstieg und irgendwann ist die erste Runde geschafft. Langsam wird es warm aber mir geht es immer noch gut und auf dem zweiten langen Anstieg sammele ich den ein oder anderen ein. 10 km vor dem Ziel taucht Gordon vor mir auf und wir rollen zusammen herunter nach Vichy und in die Wechselzone.
Zu Laufen sind 4 Runden auf beiden Seiten des Allier über 2 Brücken mit wenig Schatten. Mittlerweile sind wieder 34°C aber dank guter Getränkeversorgung ist es erträglich. Ab der zweiten Runde werden meine Gehpausen nach den Verpflegungspunkten länger, aber das war eingeplant und nicht anders zu erwarten. Am Ende ist es meine beste Langdistanz-Marathonzeit seit 15 Jahren, wahrscheinlich auch dank der nimmermüden Helfer und der tollen Stimmung an der Strecke, „Bon courage!“.
In der Altersklasse verpasse ich um gerade mal 10 Sekunden die erste Hälfte und werde 12. von 22 (davon 19 im Ziel).
Im Zielzelt suche ich Gordon. Vergebens bei den Speisen, vergebens bei den Getränken, vergebens bei der Taschenausgabe. Bis ich an einem einsamen Tresen einen einsamen deutschen Finisher entdecke. Es gibt tatsächlich kaltes Bier vom Fass; die Strapazen haben sich gelohnt!
Opéra de Vichy
Am folgenden Tag finden in der Oper die Siegerehrung und die Vergabe der Hawaii-Slots statt, anschließend gibt es zum Abschluss einen Brunch mit kleinen Köstlichkeiten und Getränken.
Den Nachmittag verbringen wir wieder am Allier, diesmal wesentlich entspannter, und gehen am Abend noch einmal zusammen essen, bevor wir uns morgens voneinander verabschieden und in den Urlaub aufmachen.
Resümee
Wie war das nun mit dem Hammer auf der Radstrecke? Unter diesem Titel hatte ich einen Beitrag über die Vorjahresveranstaltung gefunden. Vielleicht war es auch dieser Beitrag, der mich dazu brachte, die wahrscheinlich disziplinierteste Saison meines Lebens zu bestreiten. Nicht zu wenig trainieren aber keinesfalls zu viel, eine verpasste Einheit ist nicht zwingend nachzuholen und wenn der Körper sich meldet, wird Pause gemacht.
Die Radstrecke ruhig angehen und bis auf die 3. Laufrunde alles genießen.
So war es, und so war es gut. Ich danke euch!
Nachtrag
Es ist wieder Winter, wir fahren Mountainbike, als Gordon sagt „Ich hab da noch eine Rechnung offen..“.