IRONMAN-Weltmeisterschaft in St. George/Utah - USA

von Jan Roeder

Liebe Freunde,

auch wenn viele von Euch das Rennen im Live-Chat verfolgt und kommentiert haben, folgt an dieser Stelle der gewünschte Erlebnisbericht von der Ironman-WM in St. George/Utah - USA.

Aber der Reihe nach:
Am 1. Mai ging es von Berlin über München nach Las Vegas. St. George selbst verfügt nur über einen kleinen Regionalflughafen und ist daher für Interkontinental-Flüge ungeeignet. Wir, Doreen und ich, verbrachten zunächst zwei Tage in Las Vegas mit den üblichen Touristen-Attraktionen. Leider machte uns die Zeitverschiebung von doch 9 Stunden ganz schön zu schaffen. Aber das Flair von Las Vegas saugt man auch mit einem müden Kopf und schlaffen Beinen auf.

Am 4. Mai fuhren wir mit dem Mietwagen weiter nach St. George. Auf dem Wege dorthin besuchten wir noch einen der viele Nationalparks, schon mit dem Gedanken, dass ich nach dem Rennen für ausgiebige Besichtigungstouren wohl nicht mehr zu begeistern sein würde. In St. George angekommen, erledigten wir sofort die Abholung der Startunterlagen und des gemieteten Wettkampfrades, um den Tagesrest nach hinten hin freizuhaben. Die Unterkunft in St. George, genauer gesagt im Nachbarort Hurricane, entsprach der Airbnb-Beschreibung und stellte uns zufrieden.

Leider konnte man dies von dem gemieteten Bike nicht behaupten. Hier war die Schaltung komplett verstellt. Die Hinterradbremse war ohne Wirkung und beide Disks der Bremsen waren verbogen und schliffen an den Bremsbelägen. Auch war der allgemeine Gesamteindruck eher ernüchternd. Zustand und Pflege des Bikes entsprachen einfach nicht meinen Erwartungen, auch mit dem Wissen, hierfür 400 $ bezahlt zu haben. Aber nach 2 Stunden Einstellarbeiten hatte ich alles hinbekommen. Einer Vorahnung nachgehend, hatte ich entsprechendes Werkzeug mitgenommen. Auch eine vorsorgliche Abnahme der Einstellungsmaße von meinem Canyon-Wettkampfrad auf das Cervelo-Bike erleichterte die ganzen Arbeiten.

Am nächsten Tag war eine Probefahrt mit einer kurzen Inspektion der Radstrecke angesagt. Das Bike fuhr sich jetzt tadellos. Bei der Ausfahrt zeigte sich schon, dass die 180 km rund um St. George eine besondere Herausforderung sein würden. Steile, langgezogene Anstiege und teilweise rasante Abfahrten würden sich abwechseln. Dazu blies an diesem Tag ein unregelmäßiger, böiger Wind. Und zu guter Letzt würde auch die Qualität des Asphalts nicht gerade eine harmonische ruhige Fahrt begünstigen (überwiegend schrapplig, geflickt oder mit Schlaglöchern versehen).

Am Nachmittag gingen wir zur Wettkampfbesprechung. Diese fand für die knapp 80 deutschen Athleten in unserer Muttersprache statt. Beunruhigend war hier zu erfahren, dass die Wassertemperatur am Wettkampftag voraussichtlich nur 16 Grad betragen würde. Daher war das Tragen eines Neopren-Anzuges obligatorisch. Zusätzlich durften sogar Neopren-Haube und Neopren-Socken verwendet werden, was ein Novum für den Schwimmsplit war. Daher beschlossen wir, nach dem Bike-Check-In am Freitag, doch noch einmal das Wasser zu testen. Und so war es dann auch. Komplett eingepackt in Neopren-Anzug, -Haube und -Socken absolvierte ich ein ca. 500 m-Testschwimmen, welches ich hinsichtlich der Wassertemperatur gerade noch als akzeptabel empfand.

Mit dem Wissen des kalten Wassers, der anspruchsvollen, mit 2400 Höhenmetern gespickten Radstrecke und dem zu absolvierenden, hügligen Marathon bei über 30 °C wurde meine Erwartungshaltung auf „durchhalten und ankommen“ gesetzt.

Und dann war er da, der 7. Mai, der Race Day. Nach einer schon üblichen „durchwachsenen“ Nachtruhe war um 3:00 Uhr Wecken angesagt und es gab das erste Frühstück, einen großen Teller mit Nudeln und Tomatensoße. Nach dem üblichen Vorbereitungs-Procedere bei einem derartigen Wettkampf, ging es gegen 4:30 Uhr aus dem Haus. Der Start erfolgte in Altersklassen-Wellen und war für mich um 7:14 Uhr angesetzt. Durch die lange Anfahrt zum Schwimmstart, welche ausschließlich über Shuttlebusse von St. George erfolgte, nahm ich noch zwei Honig-Sandwiches für das zweite Frühstück mit. Um 6:30 Uhr war ich in der Wechselzone, nach der Rad-Vorbereitung, Umziehen, Frühstück und einem letzten Toilettengang war es dann auch soweit. Die Altersklassen-Welle startete im 10-Sekunden Takt mit jeweils zehn Athleten, so dass die sonst üblichen Prügeleien im Wasser sich doch erheblich reduzierten.

Es war ein Schock-Moment. Trotz Neo war die Kälte im Wasser allgegenwärtig. Ich wusste, dass ich ungeachtet der Zeit gleichmäßig und ruhig durchschwimmen musste, um Krämpfe zu vermeiden. Die 16° Wassertemperatur, verbunden mit der Distanz von 3,8 km, waren eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Beunruhigend war zu sehen, wie eine nicht unerhebliche Anzahl von Schwimmern sich unterwegs an den Begrenzungsbojen, Rettungsflößen und Sicherungskajaks festhielten, aus welchen Gründen auch immer. Aber ich fühle mich gut, also immer schön gleichmäßig weiter und Boje um Boje absolviert. Nach 1:33 h war der ungeliebte Schwimmsplit als 180. von 211 gestarteten Altersklassen-Athleten geschafft. Im Umziehzelt drückte ich mir noch ein Energiegel zwischen die Zähne und ab ging es auf die Radstrecke.

Hier war ich in meinem Element. Athlet um Athlet wurde eingesammelt. Manchmal waren es gleich ganze Pulks auf einmal. Ich hatte am Vorabend noch einmal mit meinem Trainer Oliver Westphal von Train Your Town telefoniert. Wir hatten alles geplant, daher wusste ich, wieviel Leistung ich treten durfte, ohne die Energiereserven vorzeitig zu leeren. Dieses Konzept ging auf, bis ca. Kilometer 90. Ab da war mir so, als ob jemand „den Stecker gezogen“ hätte. Ich bekam einfach keinen Druck mehr aufs Pedal. Mit dem Wissen, gerade mal die Hälfte der Radstrecke absolviert und noch zwei große Anstiege vor mir zu haben, gab ich die Verfolgungsjagt auf und richtete mich auf „mit Energiereserven ankommen“ ein. Den ersten Anstieg absolvierte ich noch ganz gut und erholte mich in einer ca. 10 km rasanten Abfahrt, wobei stellenweise 75 km/h Spitzen-Geschwindigkeit auf dem Tacho standen. Und danach kam der Scharfrichter, der Anstieg zum Snow-Canyon.

Während ich dank meiner Reserven noch gleichmäßig hochkurbeln konnte, hatten andere Athleten hier gewaltige Probleme. Einige fuhren im Zickzack, während andere tatsächlich mit den Schuhen in der Hand ihr Bike den Anstieg hochschoben. Nach dieser letzten Hürde ging es nur noch bergab, das wusste ich. Aber ob die 15 minutige Abfahrt zur Erholung für den Laufsplit reichen würde … da war ich mir nicht ganz sicher. Und so rollte ich nach 6:31 h in die Wechselzone 2.

Das Bike wurde mir abgenommen. Im Umziehzelt ließ ich mir etwas Zeit, ich war „ziemlich im Eimer“. Aber immerhin bin ich auf Platz 99 in der Altersklasse vorgefahren. Mit dicken Oberschenkeln ging es auf die Marathonstrecke. Mittlerweile zeigte das Thermometer 32 Grad. Es waren 2 Runden zu laufen, wobei ein 5,5 Kilometer langer Hügel insgesamt 4x hoch- und heruntergelaufen werden musste.

Ich kam zwar gut in meinen Rhythmus, machte aber bewusst an jeder Verpflegungsstation eine Gehpause. Spätestens jetzt war mir klar, dass dies ein sehr sehr langer Tag werden würde. „In meinen Körper reinhorchend“ und die Herzfrequenz auf der Laufuhr im Blick, kämpfte ich mich von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation. Mit Beendigung der ersten Runde erreichte ich mein emotionales Tief. Ich konnte nicht mehr, vielmehr mein Kopf wollte nicht mehr. Was machen? Die Gedanken kreisten: „Es sind noch 21 km … eigentlich nur eine mittlere Trainingseinheit … ich bin jetzt sooo weit gekommen … ich bin bei einer Weltmeisterschaft … .“

Und ich wusste, viele Freunde sitzen im Live Chat und verfolgen mich und das Rennen. „Nein, ich darf sie nicht enttäuschen, sie und auch mich nicht“. Also weiter, Schritt für Schritt, Station zu Station. Und ich lief, vorbei an gehenden, schwankenden, kriechenden, kotzenden und irgendwo herumliegenden Athleten. Es wurde langsam dunkel. Meine Laufuhr verabschiedete sich 5 km vor dem Ziel. Auch sie wollte nicht mehr, Akku alle. Aber das Ziel war jetzt in Reichweite. Man hörte schon das Wummern der Bässe und das Zuschauergeschrei im Zielbereich. Und dann war es endlich soweit: Der Einlauf in den Zielkanal. Alle Anspannungen fielen mit einem Schlag ab. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Überwältigt von der Kulisse und der Erkenntnis, einen der härtesten Ironman‘s gefinisht zu haben, lief ich durch den Torbogen. Nach 13:47:23 h hieß es: „Jan Roeder from Germany … Jan, you are an Ironman!“

Ich hatte mein Vorhaben erreicht, ich bin gesund und mit einem Lächeln auf den Lippen durch das Ziel gelaufen.

Der Rest war unspektakulär. Medaille und Finishershirt in Empfang genommen, umgezogen und raus. Doreen empfing mich überglücklich, WIR hatten es geschafft.

Platz 82 in der Altersklasse. Selbst mit den 5:21 h für den Lauf konnte ich noch 17 Plätze gutmachen. Es ist unglaublich, mit welchem Maßstab man bei der Beurteilung der einzelnen Leistungen herangehen muss. Von den ca. 2800 gestarteten Athleten kamen 22 % nicht ins Ziel, das sind über 600 Teilnehmer. Das ist eine erstaunlich hohe Zahl wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Weltmeisterschaft handelte. Angesichts der mit den Wassertemperaturen kämpfenden, den Anstieg hochschiebenden und den auf der Laufstrecke kollabierenden Athleten, ist hier der Veranstalter in der Verantwortung. Wenn für die Hälfte der Teilnehmer der Marathon zu einem großen Spaziergang wird, sollte man vielleicht die Höhe der Messlatte überdenken.

Ich bin jetzt am Ende meiner Träume angelangt, der Teilnahme an einer Ironman-Weltmeisterschaft.

Nach zwei Ruhetagen in St. George haben wir den Rest der Woche in Los Angeles am Santa Monica Beach verbracht. Das war Urlaub pur. Am Sonnabend ging es dann von Los Angeles über Frankfurt nach Berlin. Erschöpft aber überglücklich sind wir sonntags wieder in Magdeburg angekommen.

An diese Stelle möchte ich „Danke“ sagen. An erster Stelle meiner Frau Doreen, welche mich als Organisatorin, Coach und Partnerin unterstützte. Dann meinem Trainer Oliver Westphal von „Train Your Town“, der mich durch seine individuellen Trainingspläne für die WM fit gemacht hat und mich auch mental immer wieder aufbaute. Dank gebührt ebenfalls meinem Sporttherapeuten Thomas Röver, er sorgte mit seinen „Zauberhänden“ für beste Regeneration und Verletzungsvorbeugung. Und natürlich danke ich auch alle Sportsfreunde vom Riemer-MTC, welche über die MTC-Chatgruppe vor, während und nach dem Rennen den Kontakt hielten.

Jetzt ist erst einmal „Sportfasten“ angesagt. Das Kapitel „Triathlon-Langdistanzen“ ist vorerst abgeschlossen. Es gibt aber neue Pläne. Fest steht zwar noch nichts, aber ich liebäugele mit dem Race Accross Germany, dem Race Accross America oder der Tour Devide. Alles Events, bei denen ein langer Atem benötigt wird. „Der alte Diesel“ tuckert ja noch ganz gut. Mal sehen, was die Zukunft so bringt, ich halte Euch auf dem Laufenden.

Das war der Erlebnisbericht von Jan

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