100 mal 100m oder Keine Weihnachtsgeschichte

von Thomas Warnke

Irgendwann im August fragt mich Ellen, ob wir nicht 100 mal 100m schwimmen wollen. Sie wäre es letztes Jahr mit Gaby als 2er-Staffel geschwommen, hinterher gehen wir in die Tapas Bar. Tapas Bar hört sich gut an, ich sage kurzerhand zu, Termin ist das erste Novemberwochenende.
Die 100 mal 100m werden in 4 Blöcken á 25 mal 100m geschwommen, es geht alle 2:00 oder 2:15 min ab. Zwischen den Blöcken ist jeweils 5 min Pause für Trinken, Essen, Toilette. Bei den 2er oder 4er-Staffeln schwimmt jeder einen Block, in der Pause wird gewechselt.

In den folgenden Wochen steigere ich das Training von 15x über 20x auf 25x100 und schwimme dazwischen die bei Triathleten beliebten Langstrecken, also 1500 oder 2000 am Stück.
Anfang Oktober treffen wir uns abends in der Elbe-Schwimmhalle und schwimmen 35x100. Einen Block komplett, 5min Pause, dann  noch einmal 10x100. Die ersten 25 gleichmäßig 1:50 (also 25s Pause), am Ende bleibe ich gerade noch unter 2min. Am nächsten  Morgen schreibt mir Ellen, ihr täte alles weh, bei mir ist es nicht viel besser, aber "Triathleten kennen keinen Schmerz". Die restlichen Wochen schwimme ich noch mehrmals 25x100, immer schön gleichmäßig 1:50er mit 25s Pause.

Das Schwimmbad in Mainz ist ein Freibad, wo im Winter eine Traglufthalle drüber gestülpt ist. Einlass ist 14:30, Start für die 2:15er 15:30 Uhr. Start für die 2:00er 25min später, so dass die letzte Bahn alle zusammen schwimmen. Auf meiner Bahn sind wir 3 Frauen und 6 Männer, ab AK35 aufwärts. Ich würde gern als letzter starten, aber Elisabeth will auf den zweiten 50 auch mal Brust oder Rücken schwimmen, also reihe ich mich als Vorletzter ein. Vor mir Georg, ein Quadrathlet, davor die beiden anderen Frauen und vorn die Männer. Eingeschwommen hat sich von allen 75 Teilnehmern keiner auch nur einen Meter.

Das erste Herunterzählen, der erste Pfiff aus der Startanlage. Die erste Bahn hinter Georg entspannt in 1:45. 30s Pause, aber da sich der Start von 9 Schwimmern hinzieht, folgt schon bald der Pfiff für die zweite Bahn. Die ersten 20x sind locker, gute Wende, gut abstoßen, kein Problem. Bei den restlichen 5 denke ich langsam an die Pause, dann schnell durch die Luftschleuse zur Toilette, einen Schluck trinken und wieder ins Becken.

Es geht entspannt weiter und schon haben wir 35x weg, das längste, was ich im Training geschwommen bin. Langsam werden die Arme schwer und ich merke, dass ich immer näher auf Georg aufschwimme, um Kraft zu sparen. An der Wende fühle ich Krämpfe kommen, stoße mich weniger ab und verliere jetzt immer eine halbe Länge auf Georg. Die muss ich zu schwimmen, das kostet Kraft, aber irgendwann ist auch der zweite Block geschafft. Pause. Mit Mühe esse ich eine halbe Banane.

Minimalziel war die Hälfte, das ist geschafft! Irgendwie erholt man sich in diesen 5 Minuten und die ersten 10x nach der Pause sind wieder ganz ok, aber nun wird es wirklich hart. Ich schwimme fast mit dem Kopf an Georgs Füßen, die Arme seitlich neben seinen Beinen, hoffentlich schimpft er nicht irgendwann mit mir. Nach der Wende komme ich oft nicht mehr an ihn heran, schwimme aber immer noch 1:50er Zeiten. Irgendwie rette ich mich in die dritte Pause.

Die Startanlage kennt keine Gnade, ich verspäte mich einige Sekunden und schwimme schon auf der ersten Bahn des letzten Blocks den anderen hinterher. Einsortieren und wieder hinter Georg, wir werden etwas langsamer und schwimmen jetzt 1:55er Zeiten. Bis sich die 2 Frauen vor Georg beschweren, sie könnten nicht mehr richtig ausgleiten, was sagt man dazu. Es gibt Diskussionen und auf den nächsten Bahnen ein gehöriges Durcheinander bis Georg sagt, wir schwimmen einen belgischen Kreisel. Das Ziel vor Augen, ergreift mich Panik, ich denke an Cap Formentor und all die anderen qualvollen Momente mit verrückten Radsportlern. Geistesgegenwärtig reihe ich mich wieder als Vorletzter ein, es sind noch 15 Bahnen, ich muss also nur 1x führen.
Vor mir ist jetzt einer der jüngeren, der mir bei seiner Führung schnell davon schwimmt, ich quäle mich zurück und bin nun vorn. 50m gebe ich noch einmal alles, dann ist die Luft endgültig raus, Elisabeth und die anderen schwimmen vorbei - danke Elisabeth! Die restlichen 7 Bahnen bleibe ich hinten, wechsle zwischen Brust und Kraul, irgendwann geht die Musik an, Ankunft am Beckenrand und endlich hat man Zeit, sich umzusehen, sich zu unterhalten, sich zu beglückwünschen.

Im Foyer ist ein kleines Buffet aufgebaut. Wir machen ein Gruppenbild und ich bedanke mich bei Georg, ohne den ich es wohl nicht geschafft hätte! Schließlich finde ich Ellen und Gaby, wir fahren in die Tapas Bar und feiern mit Hackfleischbällchen, Ziegenkäse, Oliven und reichlich Caipirinha unseren Erfolg.

Ich wünsche allen eine schöne Weihnachtszeit. Und schwimmt niemals, also wirklich niemals, 100 mal 100m. Es ist die Hölle!

Thomas

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