Ein Erlebnisbericht der anderen, besonderen Art
von Grammi
Jan fuhr die Grenzsteintrophy, kurz auch "GST" genannt
Ich habe ja dem einen oder anderen von meinem Vorhaben erzählt, in diesem Jahr die sogenannte Grenzsteintrophy zu fahren. Im letzten Jahr erfolgte bereits der erste Versuch, welcher aber nach 900 km in Mellrichstadt endete (ernorme Sitzprobleme mit einer schönen Infektion ...).
Für diejenigen, welche dieses Event nicht bekannt ist:
Die GST in eine Selbstversorgerfahrt. Sie verläuft in einem 15 km-Korridor entlang der alten innerdeutschen Grenze (vom Dreiländereck hinter Hof bis Travemünde an der Ostsee). Alle Ausrüstung, die man während der Fahrt benötigt, muss man mit sich auf dem Rad führen oder unterwegs beschaffen. Die Strecke darf einzig aus eigener Muskelkraft zurückgelegt werden. Jede Art “vorgeplanter” Arrangements (z. B. Hotels buchen, Werkstatttermine in Radläden vorterminieren usw.) ist untersagt. Einzige Ausnahme: Das Versenden an die eigene Person adressierter Pakete zu Postämtern nahe der GST-Strecke. Jeder handelt und fährt eigenverantwortlich.
Die Grenzsteintrophy ist ein Abenteuer mitten in Europa. Sie will ein “Once in a lifetime-Ride” für Mountainbiker sein, die von überorganisierten, teuren Events genug haben. Für Biker, die nicht allein sportliche Ziele haben, sondern eine ganzheitliche Herausforderung suchen. Das Prinzip der GST ist: Kein Startgeld – kein Preisgeld – kein Service – maximales Erlebnis. Die GST ist kein Rennen. Es gibt keine Zeitnahme. Es gibt keine Organisation während der Fahrt, sondern nur eine festgelegte Route, einen GST-Kodex und optional einen gemeinsamen Start. (Einige dieser eben aufgeführte Sätze sind von der GST-Homepage abgeschrieben, da ich sie nicht besser hätte formulieren können).
Der geplante gemeinsame Start war der 17. Juni 2013 (traditionsgemäß am alten Tag der deutschen Einheit). Da ich aber die gesamte Tour in maximal 9 Tagen beenden, dabei aber den zu nehmenden Urlaub auf 5 Tage begrenzen wollte, startete ich schon am Sonnabend dem 15. Juni (so daß zwei komplette Wochenenden genutzt werden konnten). Durch das Hochwasser der Elbe im nördlichen Bereich zog ich es vor, die Strecke in Süd-Nord-Richtung anzugehen. Hintergrund dieser Überlegung war es, daß durch den Zeitgewinn von einigen Tage sich die akute Hochwasserlage im Bereich Boitzenburg - Dömitz etwas entspannt.
So reiste ich am Freitag dem 14.06. nach der Arbeit nach Hof und fuhr dann mit dem Rad ca. 25 km nach Mittelhammer, einem kleinen Ort in der Nähe vom alten Dreiländereck. Übernachtung und Futter gab es in einer kleinen Pension. Pünktlich um 8.00 Uhr stand ich am nächsten Tag auf dem Lochplattenweg am Dreiländereck, am Start. Unter Berücksichtigung der Streckenführung konnte ich täglich folgende Tagesabschnitte bewältigen:
15.06.2013 Mittelhammer - Neustadt bei Coburg 175 km
16.06.2013 Neustadt bei Coburg - Mellrichstadt 150 km
17.06.2013 Mellrichstadt - Berka/Werra 144 km
18.06.2013 Berka/Werra - Reckershausen 132 km
19.06.2013 Reckershausen - Sorge 123 km
20.06.2013 Sorge - Bösdorf 158 km
21.06.2013 Bösdorf - Dömitz 184 km
22.06.2013 Dömitz - Travemünde 214 km
Gesamtstrecke und Abweichungen): 1280 km
Gesamtzeit: Start am 15.06.2013, 8.00 Uhr - Ziel am 22.06.2013, 21.27 Uhr
7 Tage, 13 Stunden, 27 Minuten
Die Strecke bestand aus Kolonnenweg, Straße, Wald- und Forstwege sowie auch Singletrails. Insgesamt sind ca. 18.000 Höhenmeter zu bewältigen gewesen.
Die Gesamtstrecke wurde im Vorfeld von Streckenscouts erkundet und GPS-mäßig erfaßt. Nach Vorliegen der Teilabschnitte sind die Teilstrecken zu einem Gesamtkurs zusammengefaßt worden.
Streckenweise führte der Track durch brusthohes Gras, Brennessel, Diesteln und Schilf. Auch teilweise völlig verschlammte und zerfahrene Waldwege brachten mich das eine und andere Mal ganz schön dicht an die Kotzgrenze. Insbesondere in der Röhn war es ziemlich anstrengend. Es gab da sehr steile lange Rampen, welche man nicht fahren konnte. Hier war schieben angesagt. Abwärts ging es genauso steil dann runter ... Ist aber alles gut gegangen. Unterwegs begegneten mir dann die anderen Starter, welche die Nord-Süd-Route befuhren. War schön und interessant, einige davon kennenzulernen. Alle mit den unterschiedlichsten Motiven und Strategien, aber auch alle (mich eingeschlossen) etwas verrückt.
Am 23.06. ging es dann mit der Bahn wieder nach Hause. Vor der Abreise bin ich noch einmal an den Strand gefahren. Eigentlich wollte ich da ein Bad in der Ostsee nehmen, jedoch war es an diesem Vormittag kalt, regnerisch und windig. Daher verzichtete ich, auch wegen des Erkältungsrisikos. Ich machte noch ein paar Fotos. Bezeichnend ist das Bild mit dem Schild "FKK-Strand Ende", welches für mich symbolisch auch das Ende dieses großartigen sportlichen Abenteuers bedeutete. Die Streckenführung mit ihrer Geschichte ist einmalig, zumal ich diese dunkle Zeit als wehrdienstleistender Grenzsoldat von 1985 - 1986 selbst miterlebt habe. Ich war da 19 ... 20 Jahre alt. Erst nach der Wende und besonders mit den Erlebnissen der Grenzsteintrophy wurde mir der gesamte Wahnsinn der Vergangenheit noch einmal richtig bewußt. Im Vordergrund stand natürlich die sportliche Herausforderung. Das Gefühl, es geschafft zu haben, noch dazu in einer ganz passablen Zeit, macht mich sehr glücklich.
Vielleicht noch ein paar Worte zum Material:
Ich fuhr ein 29' er Fully mit schmaler Bereifung, schlauchlos. Der Umfang des Gepäcks ist mehrfach optimiert worden, so daß ich mit einer Oberrohrtasche, eine Gepäckträgertasche und eine 2l-Trinkrucksack ausgekommen bin. Der Plan war, immer in einem Hotel oder einer Pension zu schlafen und dort auch ausreichend zu essen. Daher hatte ich auch nur eine Wechselgarnitur mitgehabt, welche ich auch nur "in der Zivilisation" getragen habe. Am Tage wurde das stinkende Zeug der "Erstausstattung" wieder angezogen. Bei Gelegenheit zog ich die Klamotten abends durchs Wasser und reinigte die Hose, insbesondere das Sitzpolster, mit einer milden Waschlotion aus einer kleinen Reisetube. Ansonsten nur Toilettenartikel, Regenzeug, ein Biwaksack (110 g !), Kettenöl, Minitool und Taschenmesser.
Entsprechend leicht unterwegs habe ich am Tage bewußt Speed gemacht, mit dem Wissen, ich bekomme in der Unterkunft Futter, kann nachts in einem Bett schlafen und so ausreichend regenerieren. Der Plan ging auf, ich bin sogar schon am Sonnabendabend am Priwall in Travemünde gelandet.
Ob ich das nächste Jahr dabei bin ... ich weiß es noch nicht. Aber es wird nicht die letzte Trophy gewesen sein. Diese faszinierende Strecke, in gefühlter unberührter Natur und doch so dicht an der Zivilisation, ist für mich immer wieder interessant. Ein Stück davon im Bereich Helmstedt liegt ja fast vor unserer Haustüre. Und auch wenn ich im Harz meine Runden drehe und dann irgendwann auf den Kolonnenweg komme, beschleicht mich ein eigenartig-mulmiges Gefühl. Und dann ruft sie wieder, die Herausforderung, das Erfahren und Erleben der eigenen Leistungsfähigkeit. Und sie läßt mich einfach nicht los ... die Grenze ... .
Das war der Bericht von Jan